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Prinzessin Glöckchenstimme

Eine Geschichte von Molnár Imola, Übersetzt von Katalin Nagy, Zeichnung von Liviu Boar

Es war einmal diesseits der Wiese, jenseits der Hügel, ein Bundschuh weit vom Eisernen Tor, nicht weit entfernt vom steinernen Pfad, dort war das Reich des Eiszapfenkönigs. In der Mitte des Pfades, unter dem Hut mit einem weißen Kragen tragenden Fliegenpilzes, war der Eingang zu einer Höhle. Die Wände der Höhle waren aus Kalkstein und mit weichem Moos bedeckt. Das Sonnenlicht leuchtete nur hier und da die Ecken des Felsenmeeres aus.

Niemand ahnte, was in der Tiefe der Höhle sich verstecken könnte, denn dort war der Palast von dem König Eiszapfen. Aber es war kein Palast aus Kristallen mit goldenen und edelsteingeschmückten Säulen, nicht mal die Fenster waren geschmückt … Aber Eisblumen waren da? Ja, jede Menge. Der Eingang war mit Eissäulen versehen, in den Zimmern war der Fußboden mit Eisblumen verziert und die Decke schmückten tausende von klingenden Eiszapfen.

In diesem Palast wohnte der König und die Königin Eiszapfen zusammen mit ihrer Tochter Prinzessin Glöckchenstimme. Die Prinzessin machte jeden Tag einen Spaziergang und setzte sich an das Ufer des Gletscherteiches. Im Teich wohnten einige kupferrote Fische und die blinden Lachsforellen. Sie hatten keine Augen, aber dafür so viele Ohren wie Schuppen auf ihren Rücken. Die Prinzessin spielte jeden Tag mit ihnen. Wenn sie zu singen begann, erklangen nicht nur die Eiszapfen, sondern auch die blinden Lachse begannen im Teich zu tanzen. Das Singen und Klingen war bis zum Eisernen Tor zu hören.

Am Eisernen Tor arbeitete ein Holzfäller, der das angenehme Singen und Musizieren vernahm.

>>Was kann wohl dieses Singen und Musizieren sein? Ich werde es gleich versuchen herausfinden<< sagte der Holzfäller.  Er nahm seine Axt auf die Schulter, nahm sein Ranzen mit und machte sich auf den Weg in die Richtung, woher er die Glöckchenstimme vernahm.

>>Deine Stimme verführt mich, dein Singen betäubt mich, zeige dich Du Glöckchenstimme << bat der Holzfäller.

Die Prinzessin mit der Glöckchenstimme aber antwortete:

 

Diesseits der Wiese, jenseits der Hügel,
ein Bundschuh weit vom Eisernen Tor,
nicht weit vom steinernen Pfad,
unter dem Hut des Fliegenpilzes,
in der Mitte einer Höhle,
im eisblumigen Palast,
im kalten Gletscherteich,
sechs blinde Lachsforellen
tanzen und die Zapfen klingeln.
Kannst du alles mir versprechen,
werd´ ich mich doch verstecken.

 

Der Holzfäller suchte und suchte, aber er konnte die Glöckchenstimme nicht finden. Er legte sich nieder neben den Fliegenpilz, nahm sein Brot aus dem Ranzen und begann mit großem Appetit zu essen.

Die Überreste seines Brotes warf er in die Höhle, die gleich neben dem Palast des Eiszapfenkönigs in den Gletscherteich fielen. Der Holzfäller suchte noch ein wenig die Glöckchenstimme und dann ging er enttäuscht weg. Die Prinzessin schaute traurig die auf dem Teich schwimmenden Überreste des Brotes an. Die blinden Lachsforellen schoben die Brotkrümel ans Ufer. Prinzessin Glöckchenstimme sammelte es ein und warf es auf den Misthaufen des Palastes. Danach setzte sie sich wieder ans Ufer des Gletscherteiches und begann mit klarer Stimme zu singen:

Diesseits der Wiese, jenseits der Hügel,
ein Bundschuh weit vom Eisernen Tor,
nicht weit vom steinernen Pfad,
unter dem Hut des Fliegenpilzes …

Kaum hatte sie wieder zu singen begonnen, als nicht weit vom steinernen Pfad ein grausames Dröhnen und Schlagen von Pferdehufen, das Spiel der Prinzessin und der blinden Lachsforellen unterbrach. Ein Heer von Soldaten auf feurigen Pferden zog vorüber, aber die Glöckchenstimme lockte auch sie zu der Höhle.

Die Soldaten durchwühlten Himmel und Erde und sie schauten auch unter den Hut des Fliegenpilzes, aber vergebens, sie konnten nicht herausfinden, woher die Glöckchenstimme kam.

>>Zeige dich, zeige dich, o Glöckchenstimme!<< riefen die Soldaten der Prinzessin zu.

Aber sie wollte nicht aus ihrem Versteck heraus:

Diesseits der Wiese, jenseits der Hügel,
ein Bundschuh weit vom Eisernen Tor,
nicht weit vom steinernen Pfad,
unter dem Hut des Fliegenpilzes,
in der Mitte einer Höhle,
im eisblumigen Palast,
im kalten Gletscherteich,
sechs blinde Lachsforellen
tanzen und die Zapfen klingeln.
Kannst du alles mir versprechen,
werd´ ich mich doch verstecken.

Die Soldaten ließen sich dann an der Öffnung der Höhle nieder und vergnügten sich drei Tage und drei Nächte lang. Sie aßen und tranken, sprangen und schlugen Rad und Purzelbäume und warfen ihre Krüge, Kannen, Messer, Gabeln, Helme, Panzer und das übriggebliebene Essen in die Höhle. Sie hatten keine Ahnung, was für ein Schaden sie angerichtet haben. Der Gletscherteich füllte sich mit dem Abfall der Soldaten. Die Prinzessin weinte, auch die Fische vergossen Tränen, ja sogar der Teich klagte und den Eiszapfenkönig erfasste große Wut:

Ihr habt gegessen und getrunken,
hattet nur vor mein Reich zu beschmutzen.
Mein Teich ist vergiftet,
mein Schloss vernichtet.
Das Vergnügen ist zu Ende,
vor Wut zittern meine Hände!

Das Volk des Palastes arbeitete sieben Tage und sieben Nächte lang, bis sie den ganzen Abfall weggeräumt hatten. Aber am nächsten Tag begann alles von vorne. Die Prinzessin sang, die blinden Lachsforellen tanzten und viele Menschen kamen noch zu der Höhle: Meister, Helden, ja auch Könige und Prinzessinnen. Alle wurden von der Glöckchenstimme hierher gelockt. Aber sie alle suchten vergebens nach der Quelle des Gesangs und des Klingelns, enttäuscht warfen sie nur Mist und Abfall in die Höhle. Sie machten soviel Abfall, bis der ganze Palast mit Müll bedeckt war. Die Eissäulen, der Fußboden mit den Eisrosen und die Eiszapfen waren verblichen und die Lachsforellen wurden krank. Die Prinzessin schloss sich betrübt in ihr Zimmer ein und vergoss viele Tränen. Ihre Mutter versuchte sie vergebens zu trösten, sie konnte ihren Kummer und ihr Leid nicht lindern.

Die Augen des Königs funkelten mal vor Wut und mal vergoss er bittere Tränen von dem tiefen Kummer der ihn gequält. Er ging hinaus ans Ufer des Gletscherteiches und begann aus Leibeskräften zu schreien, aber wegen des ganzen Abfalls, der sich angesammelt hat, drang nur ein lautloser Schall zur Oberfläche:

Diesseits der Wiese, jenseits der Hügel,
ein Bundschuh weit vom Eisernen Tor,
nicht weit vom steinernen Pfad,
unter dem Hut des Fliegenpilzes,
in der Mitte einer Höhle
ersticken wir in der Mistgrube. 
Mein Teich ist vergiftet,
mein Schloss vernichtet.
Ich geb´ die Hand meiner Tochter
und das halbe Reich darüber
dem, der meine Zapfen reinigt
und die Fische im Teich heilt.

Der Erste, der die Klage des Königs hörte, war der Fliegenpilz. Eins, zwei, drei und er gab die Nachricht weiter an die Eule. Die Eule sagte es dem Sperling, der Sperling dem Schweißhund, der Schweißhund der Maus, die Maus der Schlafmaus, die Schlafmaus dem Frosch, der Frosch dem Stier, dass der Eiszapfenkönig die Hand seiner Tochter und sein halbes Reich dem gibt, der seinen Palast von dem Abfall und Schmutz säubert.

Die Nachricht verbreitete sich auf den Flügeln des Windes so schnell wie die Gedanken im Kopf und gelangte bis zu den Ohren eines armen Burschen. Seitdem hatte der Bursche weder am Tag noch in der Nacht Ruhe. Er dachte ständig an den musizierenden Palast. Er dachte viel nach und war lange Zeit unentschlossen, aber dann eines Tages, packte er etwas zum Essen in seinen Ranzen und machte sich auf den Weg, den Palast in der Höhle zu suchen.

Der arme Bursche lief und lief, er lief durch Wiesen, Hügeln und Wälder und letztendlich verirrte er sich. Der Weg führte neben einem Stoppelfeld, wo ein Garbenbinder seine Stricke auf dem Feld ausbreitete.

>>Was führt dich in diese Gegend, du armer Bursche? <<- fragte der Garbenbinder.

Wo ist wohl der Weg,
diesseits der Wiese, jenseits der Hügel,
ein Bundschuh weit vom Eisernen Tor,
nicht weit vom steinernem Pfad?
Ich suche den Palast in der Höhle,
weil ich von der Tochter des Eiszapfenkönigs hörte.

>>Gut, mein lieber Freund, ich weiß wo dieser Palast ist. Unter dem Hut des Fliegenpilzes, in einer tiefen Höhle. Aber eine Hand wäscht die andere. Wenn du meine Garbenbindemaschine reparierst, zeige ich dir den Weg dorthin. <<- antwortete der Garbenbinder.

Der arme Bursche war einverstanden. Er arbeitete vom frühen Morgen bis spät in den Abend, bis die Garbenbindemaschine wieder funktionierte. Der Garbenbinder hielt sein Wort und erklärte dem armen Burschen der Reihe nach, in welche Richtung er gehen muss. Erst soll er nach rechts gehen, dann nach links abbiegen und dann immer geradeaus. Er gab dem Burschen auch ein langes Seil mit auf den Weg, das warf er ihm über die Schulter und wünschte eine gute Reise.

Der arme Bursche ging los und schlug zuerst den Weg nach rechts ein, dann ging er nach links und nach kurzer Zeit wurde es aber dunkel. In der Ferne bemerkte er einen kleinen Lichtschein, der ihn zu einem Haus führte. 
Der Bursche klopfte an die Tür. Es war die Tür einer Eisengießerei.

>>Wer ist da? Wer stört mich in meinem Hause? <<- fragte der Meister der Eisengießerei und öffnete die Tür.

>>Lieber Meister, ich will Sie nicht stören, ich suche nur ein Obdach für die Nacht und würde auch gern etwas essen, weil mein so Magen knurrt. <<- sagte der arme Bursche in aller Demut.

>>Du kannst bei mir übernachten, wenn du mir bis Übermorgen tausend Eisenkessel gießen kannst. <<- so der Meister.

>> Hier ist meine Hand darauf! << - sagte der arme Bursche und reichte seine Hand dem Meister.

Der Meister ließ den armen Burschen herein, sie aßen und dann gingen sie schlafen. Am nächsten Morgen stand der arme Bursche in aller Frühe auf, machte ein großes Feuer, dann schmolz und goss er das Eisen von früh bis spät, bis die tausend Eisenkessel fertig waren. Dann setzte er die Eisenkessel aufeinander, bis ein großer Eisenkesselberg entstand. Der Gießmeister sagte dann dem armen Burschen:

>>Du hast dein Wort gehalten und die tausend Eisenkessel gegossen, so kannst du einen mitnehmen. >>- und gab dem Burschen einen großen Eisenkessel.

Der arme Bursche bedankte sich bei dem Meister für das Geschenk und machte sich auf den Weg.

Von hier aus sollte er nur noch geradeaus gehen, erinnerte er sich. Bald darauf kam er zum Fliegenpilz, aber er konnte die Höhle nicht finden. Hier war weder ein Loch, noch Moos oder Licht zu sehen. Aber es lagen überall rostige Helme, Löffel, Gabeln und abgenutzte Schnürstiefel herum.

Der arme Bursche nahm seinen Eisenkessel und begann den Unrat in den Kessel einzusammeln. Er arbeitete sieben Tage und sieben Nächte lang, aber vergebens, der Abfall war nicht wegzubekommen. Am nächsten Tag setzte er sich niedergedrückt unter einen Eichenbaum und wollte schon sein Ziel aufgeben, all den Müll zu beseitigen, als die Eule, die auf dem Eichenbaum saß, sagte:

Uhu- hu- hu, gib nicht auf
besser bereite den Kessel drauf
mit dem Müll gefüllt zu werden,
wir werden ihn auf den Misthaufen bringen.

Erst erschrak der arme Bursche über die merkwürdige Stimme, er hatte aber kaum Zeit sich zu besinnen, als die Eule schon den Sperling rief, der Sperling den Schweißhund, der Schweißhund die Maus, die Maus die Schlafmaus, die Schlafmaus den Frosch und der Frosch den Stier. Die Tiere fingen gleich an mit der Arbeit. Die Maus, die Schlafmaus und der Frosch sammelten den Abfall zusammen. Der arme Bursche, der Schweißhund und der Stier schoben den großen Kessel, der schon fast voll war. Die Eule und der Sperling holten den ganzen Abfall aus der Höhle heraus. So arbeiteten sie von früh bis spät jeden Tag.

Die Zeit verging wie im Fluge, sodass dem armen Burschen ein langer Bart wuchs, bis sie den ganzen Abfall weggeschafft hatten. Dann nahm er das Seil des Garbenbinders und band es um den Stamm der Eiche.

Den Eisenkessel füllte er mit Wasser und ließ ihn hinab in die Tiefe. Dann kletterte er auch hinunter an dem Seil. Er sperrte vor Erstaunen Mund und Augen auf, als er den mächtigen Palast tief in der Höhle erblickte. Der Eingang war mit Eissäulen versehen, in den Zimmern war der Fußboden mit Eisblumen verziert und die Decke war mit tausenden von Eiszapfen geschmückt.
Der arme Bursche nahm eine Hand voll Wasser aus dem Kessel und wischte den Eingang, dann den Fußboden mit den Eisblumen und säuberte sogar jeden einzelnen Eiszapfen. Er goss frisches Wasser in den Teich und wusch auch die kranken Lachse ab. Und siehe da wie ein Wunder, die Fische wurden gleich gesund, sie begannen zu tanzen und zu singen:

Frisches Wasser im Teich,
die Lachse singen auch gleich:
Ich tanze gerne mit dir,
ein Paar sind jetzt wir.

>>Woher kommt die Musik? <<- fragte Prinzessin Glöckchenstimme und schon lief sie zum Teich. Sie glaubte ihren Augen nicht, als sie den sauberen Palast sah. Vor Freude begann sie zu singen und die Eiszapfen begannen zu klingen.

Diesseits der Wiese, jenseits der Hügel,
ein Bundschuh weit vom Eisernen Tor,
nicht weit vom steinernen Pfad,
unter dem Hut des Fliegenpilzes,
in der Mitte einer Höhle,
im eisblumigen Palast,
im kalten Gletscherteich,
sechs blinde Lachsforellen
tanzen und die Zapfen klingeln.
Mein Paar, werde sichtbar!

Als der König und die Königin das hörten, gingen sie auch nach draußen und das ganze Volk des Palastes folgte ihnen und alle begannen vor Freude zu tanzen. Der arme Bursche stand als stolzer Held da und kein Wort kam über seine Lippen . In seinem ganzen Leben hat er noch nichts Wundervolleres gehört als diese Musik und noch nie sah er eine schönere Prinzessin. Er nahm alle seine Kräfte zusammen, die ihm noch geblieben waren, trat vor den alten König und sagte:

Ich holte frisches Wasser in den Teich,
die Lachse wurden gesund gleich.
Die Eiszapfen klingen und singen,
die Hand deiner Tochter will ich gewinnen.

Der alte König klopfte ihm auf die Schulter und sagte:

>>Mein lieber Junge, von nun an bist du der Herr dieses Palastes und hier ist die Hand meiner Tochter. Ihr sollt heiraten und die Eiszapfen sollen klingen!

Der arme Bursche und Prinzessin Glöckchenstimme veranstalteten ein so großes Hochzeitsfest, dass die Feier diesseits der Wiese, jenseits der Hügel, vom Eisernen Tor bis zum steinernen Pfad  noch zu hören war.

und wenn sie nicht gestorben sind, dann Sie feiern auch noch heute …