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Die ABC Geschichte

Eine Geschichte von Alina Nelega, Übersetzt von Alois Kommer, Zeichnung von Liviu Boar und Faluvégi Zsolt
Interpretiert von Inge Ziegler

Liebe Kinder, das Märchen, das ich euch jetzt erzählen werde, spielt in unserer Schule. Es waren einmal zwei kleine Mädchen. Sie gingen in die erste Klasse. Ihr wisst doch, wo die erste Klasse ist, oder? Na, im zweiten Stock, über dem Büro des Direktors.

Ihr kennt auch bestimmt die Zwillinge, die in der mittleren Reihe, in der dritten Bank sitzen. Emma und Ella. Es gibt kaum Einen, der sie nicht kennt. Sie spielen den ganzen Tag, machen Sprungseilübungen, zeichnen einen Hickelkasten auf den Gehsteig - natürlich mit einem Kreidestück, das sie heimlich aus der Klasse stibitzt haben. Und siehe da, deswegen gibt es meistens keine Kreide für die Tafel! … sie klettern auf Bäume, ziehen an den  Ohren der Hündchen. Kurzum, es ist unmöglich, diese ausgelassenen Mädels nicht zu kennen ... aber eigentlich sind sie ganz reizende Mädchen, wenn ihr es wissen wollt.

Zwar sind sie Zwillinge, dennoch verschieden. Emma hat blaugrüne Augen und zwanzig Sommersprossen.  Ella hat dagegen grünblaue Augen und nur neunzehn Sommersprossen. Wie ihr schon seht, unterscheiden sie sich wirklich sehr.

An dem Tag, als unsere Geschichte sich abspielte, sind sie auf etwas gestoßen: auf ein Wort, das sie dringend lesen mussten. Ein einfaches und sehr … leckeres Wort. Also, sie haben gemeinsam mit dem Herrn Lehrer angefangen, dieses Wort zu buchstabieren:

Emma: Aaaaaaaaa......ppppppp.....Ap....

Der Lehrer: Ja...

Emma: Ap, Ap, Ap,  Apapapapa...lalalala....

Lehrer: Emma, Emma, Emma... Du bist gar nicht aufmerksam... Ella, bitte sprich mir nach: AP – FEL, APFEL

Ella: AP – FEL...AP…AP

Emma: PAPA

Beide: Papapapppa… hahahahaaa

Lehrer: Ah, Mädchen, Mädchen!

Beide: Tja... wir kennen das Wort nicht, wir wollen das Ganze gar nicht wissen… Wir wollen nicht lesen!

Lehrer: Wieso denn?

Emma: Ich spiele lieber mit meinen Puppen...

Lehrer: Aber...Aber das ABC muss man doch lernen!

Ella: Und ich ... ich spiele lieber … Ball …

Lehrer: Ja, aber das ABC ist auch wichtig!

Emma: Wir wollen aber diese Buchstaben nicht haben … das ist Unfug … Buchstaben sind langweilig ...; Ella: ..und hochmütig!

Der Lehrer konnte nichts machen, er ließ sie laufen! Sie spielten den ganzen Tag, bis es dunkel wurde. Sie spielten Seilhüpfen und sangen dabei ein Lied, das sie selbst erfunden haben. Es hörte sich so an:

Eins-drei-sieben-zwei, 
an der Schule gehl vorbei!
Sieben Zwerge und ein Wicht,
in die Schule gehln wir nicht.

Wir spielen und spielen, 
du kannst uns nichts beibringen!
Im Sommer, Frühling, Herbst und Winter,
spielt mit uns ihr lieben Kinder!

Emma: Ah, ich bin so müde ... Schau mal, es ist schon dunkel ... 
Ella: Ich bin auch so schläfrig ... 
Ella und Emma schlafen gerade, sie waren ja so müde vom Spielen. Sie wissen gar nicht, dass die Welt ohne Buchstaben in Gefahr wäre. Die Buchstaben sind überall, ohne sie kämen wir nicht klar. Ohne Buchstaben gäbe es keine Briefe und keine Adressen. Ohne Buchstaben würden wir die Marmelade mit Tomatensoße verwechseln, denn es gäbe keine Etiketten. Wir würden nicht einmal wissen, wer wir sind, denn unsere Namen schreiben wir ja auch mit Buchstaben.

Es gäbe kein Geld, auf den Banknoten sind nämlich sehr viele Buchstaben. Man könnte fast sagen, dass Geld eigentlich aus Buchstaben erstellt wurde. Aber das Traurigste wäre, wenn es keine Bücher gäbe. Auch keine Filme, auch keine Computer, keine Verkehrszeichen, es gäbe nichts, gar nichts! Unsere ganze Welt, liebe Kinder, ist voll mit Buchstaben! Und die Buchstaben treffen sich alle in der Fibel! Also könnt ihr es euch vorstellen, wie beleidigt die Buchstaben waren, als sie alll das gehört haben. Sie haben sofort beschlossen, den Mädchen eine Lektion zu erteilen. Sie schlichen sich leise in ihre Träume ein. Emma und Ella haben immer das Gleiche geträumt, sie waren ja Zwillinge.

So wachten sie am Ufer eines Sees auf. Da war ein schrecklich verdrossener, alter Fischer. Sein Name war Herr Drossel. Er fing aber keine Fische, er zog Buchstaben aus dem See. In der Luft flogen ebenfalls Buchstaben herum. Auf der Strasse kamen und gingen statt Menschen und Tiere, Buchstaben auf und ab, hin und her, kreuz und quer: kleine und große Buchstaben, gerade und schräge, Handgeschriebene oder Druckbuchstaben.

Sie ließen dich nur dann durch, wenn du sie nennen konntest. Aber Emma und Ella kannten keinen einzigen Buchstaben, daher kamen sie an ihnen nicht vorbei. Sie mussten den See überqueren, wenn sie nach Hause wollten. Da sagte ihnen Herr Drossel, dass die Buchstaben, die er aus dem See fischt, sie zum anderen Ufer bringen werden, wenn sie sie erkennen.  Emma und Ella fingen also an: 
Emma: das ist ein H, der Haus-Buchstabe, ja, ja! Genau, der Honig-Buchstabe!.
Ella: ... und der Hof-Buchstabe…
Herr Drossel: Hm … gefällt mir nicht … gefällt mir nicht! Noch mal, dann …; Beide: Ziehen sie an der Angel! Noch mal ziehen!

Emma: Nanu!? Das ist der E! E wie Elch, wie Eis, wie Eimer! Noch mal!
Ella: Aha … ein C! Ein C? 
Herr Drossel: Na ja … da stimmt was nicht. Ein Fisch! Es muss doch ein Fisch sein! Kuckt mal!
Emma: Oh … Ein H-Buchstabe! Noch ein H-Buchstabe? Nochmal ziehen, nochmal!
Vergebens. Emma und Ella haben den letzten Buchstaben, den Herr Drossel aus dem See gefischt hat, nicht erkannt. Sie konnten den See nicht überqueren. Wir können ja nicht sagen, dass die Buchstaben H, E, C und H ein Wort ergeben, oder? Dann, auf einmal erschien ein riesiger Vogel am Himmel. Er hatte etwas im Schnabel. 
Emma: Eine Gans!
Ella: Ja, eine Wildgans!
Herr Drossel: Genau! ”˜Ne Wildgans!

Die Gans sang ein Lied:
Mein Name ist Hans,   
Ich bin eine Gans, 
Eigentlich ein Gänserich, 
Im Schnabel habe ich
Etwas versteckt! 
Sagt mir was es ist, 
Da seid ihr schon weg!

Emma: Das bedeutet, du versteckst einen Buchstaben…?

Ella: Jawohl, du hast einen Buchstaben im Schnabel!

Emma: Ein T! T wie Tier! Du bist ja ein Tier!

Als die Mädchen es herausgefunden haben, dass der Gänserich ein T im Schnabel hatte, ergab sich aus den Buchstaben, die Herr Drossel gefischt hatte, ein Wort: HECHT. Da sprang sofort ein riesiger Hecht aus dem Wasser, bat die Mädchen aufzuspringen, damit er sie zum anderen Ufer bringt.

Die Mädchen nahmen Abschied von Herrn Drossel, der in Wirklichkeit der Buchstabe D war – als Fischer verkleidet, und vom Gänserich Hans, der in Wirklichkeit ein T war. Dann schwammen sie los. Am anderen Ufer haben die Mädchen ein wunderschönes Haus erblickt. An der Tür stand ein Text geschrieben: AUSGANG DER TRAUMWELT. FÜR EMMA UND ELLA. DIE TÜR GEHT AUF, WENN IHR ALLE BUCHSTABEN AUFSAGT.

Was – dachten die Mädchen – wir sollen alle Buchstaben aufsagen … auswendig? Ah, wir können es nicht schaffen! – sagten sie traurig. Bevor sie aber die erste Träne vergießen konnten, erschienen in den Hausfenstern ihre Freunde, die Buchstaben, und sangen fröhlich das ABC-Lied.

A, B, C sind drei Soldaten, 
Was dann folgt, könnt ihr erraten!
Der E hat Beine - drei, 
Sein Nachbar, F, nur zwei.
G die gute Gummischnecke, 
H der Achte in der Ecke.
Das Alphabet ist unser Haus, 
wir bilden alll die Wörter, 
damit sie schreiben, lesen können,
helfen wir den Kindern.

Sie sangen fröhlich mit den Buchstaben, spazierten durch die Haustür, raus aus dem Traum … hinein in unsere Welt, hinein in ihre Bettchen, genau als der Wecker losrasselte, um sieben Uhr, wie jeden Morgen. Es war Zeit für die Schule.Der Lehrer konnte es gar nicht fassen, dass die Mädchen alle Buchstaben des Alphabets auswendig konnten. Die Wörter konnten sie in einem Atem, fehlerfrei lesen …

Beide: AP – FEL, APFEL!

Lehrer: Glückwunsch, Mädels! Fantastisch! Wie ich sehe, habt ihr euch mit den Buchstaben angefreundet. War es schwer?

Beide: Nein! Überhaupt nicht!

Lehrer: Natürlich nicht. Mit ein bisschen Anstrengung und Hilfe habt ihr es geschafft!