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Raupe Mirmidone

- Zweiter Teil -  
Eine Geschichte von Mediana Stan, Übersetzt von Erika Kommer, Zeichnung von Liviu Boar

Mirmidone wurde sofort zum General Teer gebracht. Der General sprach zu den Heuschrecken-Botschaftern, die vor ihm standen – behielt die Prinzessin aber ständig im Auge:
„Geht zurück in die Knospenburg und sagt, dass sie ihre Prinzessin für zwei ...“ - und er schaute Mirmidone noch mal von Kopf bis Fuß an – „… für vier Apfelgärten zurückhaben können.“ 
Die Königin kaute weiter am Harz, sagte arrogant und mit Verachtung: 
„Da musst du schon ein besseres Angebot machen, meine Raupen sind zu klug, um ihre Gebiete für eine Königin aufzugeben.“
„Halt die Klappe, du Wurm!“
Sie war bis auf den Tod beleidigt. Mirmidone spuckte das klebrige Harz ins Gesicht des Generals, so stark, dass er die festklebende Masse kaum abwischen konnte. Die Heuschreckendamen haben entsetzt festgestellt, dass Mirmidone kurz davor stand, aus der Haut zu fahren. Sie ahnten gar nicht, wie kurz sie wirklich davor stand.

General Teer musste sich neben das Feuer stellen, damit ihm das Harz vom Gesicht schmilzt. Währendessen kratzten ihm seine Diener die klebrige Masse mit der Rasierklinge vom Bart. Mirmidone haben sie in den Orangenen Turm eingesperrt, sie gaben ihr jede Stunde ein einziges Blatt und einen Tropfen Wasser. Jedes Mal kamen ein Heuschreckenhenker und drei Heuschreckensoldaten, die jedes Mal mit ihren Nadelbajonetten einen königlichen Schmetterling an die Zellenwand genagelt haben. Mirmidone bespuckte auch diese mit Harz und steckte sogar ihre Zunge heraus. 
Seit vier Stunden saß sie regungslos am Tisch in ihrer Zelle, mit dem Rücken zur Wand, die von aufgespießten Schmetterlingen übersäht war. Die Heuschrecken sprachen zu ihr, sie hörte aber nicht hin, bewegte nicht einmal den Kopf. Der Henker und die Soldaten fragten sich: “Was ist los mit ihr, sie spuckt uns nicht mal mehr an?”
Als General Teer sah, dass die Raupen keine Antwort gaben – als hätte es sie gar nicht gekümmert, dass ihre Königin aufgespießt wird – entsandte er eine Abordnung zu der Knospenburg, die in Mirmidones Abwesenheit vom General Blumensprung regiert wurde.

Die Wachen führten die zehnköpfige Heuschreckendelegation in den Thronsaal. Als sie eintraten, machten sie riesengroße Augen, denn auf dem goldenen Thron saß ganz feierlich niemand anderes, als Königin Mirmidone, die eigentlich im Turm eingesperrt war! 
Daraufhin sind die Boten sofort Richtung Heimat losgehüpft, um General Teer zu erzählen, was sie gesehen haben. Dieser stieg sofort auf den Turm, fasste die Gefangene an den Füßen und merkte, dass nur noch eine Raupenhaut da war, die innen hohl war, aber jedoch ihre äußere Form perfekt behielt. Mirmidone hatte sich gehäutet und floh mit ihren Schmetterlingsflügeln. Erbost führte General Teer einen Überraschungsangriff durch und seinen Soldaten ist es dabei gelungen, Blumensprung zu entführen. Zuerst überprüften sie, ob er nichts im Mund hat, dann warfen sie ihn in Mirmidones Zelle und bewachten ihn ständig.

Mirmidone schickte zwölf Boten los, die dem General folgende Botschaft überbrachten: “Ich fordere Sie zum Speerwurf-Duell heraus! Wenn sie sich trauen und ich gewinne, dann lassen Sie Blumensprung frei, wenn ich verliere, dann bekommen sie zwei Apfelgärten.” “Nein!” – lautete die Botschaft des Generals – “wenn ich gewinne, dann nehme ich Sie zur Frau.”  “So sei es!“ – antwortete die Königin. 
In etwa einer Stunde standen sich die Truppen der grünen Raupen und der grauen Heuschrecken gegenüber, weit voneinander entfernt, auf einem neutralen Gebiet zwischen den Obstgärten. Von hieraus schauten sie sich das Duell zwischen Mirmidone und General Teer an. Beide standen bewaffnet und in Rüstung auf dem Schlachtfeld.
Mirmidone wollte nicht abwarten, bis der General näher kommt, warf ihren Speer und nagelte den General an einen Baumstamm fest. 
„Und nun“, sagte Mirmidone zum Generalleutnant, „lassen sie sofort Blumensprung frei.“

Der Generalleutnant salutierte und sagte: 
“General Teer müsste ihn doch befreien. So steht es geschrieben, da er aber aufgespießt wurde, kann er ihn nicht frei lassen.“ 
“Wie? Wir haben vereinbart, wenn er besiegt wird, oder stirbt, wird Blumensprung befreit.“ Der Generalleutnant zog die Schrift aus seinem Gürtel und zeigte auf den Text. 
“Es wurden keine Angaben gemacht, für den Fall, dass er stirbt … „; „Hmm...“
Mirmidone hat begriffen, dass die Heuschrecken nur einen Vorwand suchten. Wer könnte im Reich der grauen Heuschrecken so hinterlistig sein?Die Raupen trampelten ungeduldig mit den Beinen. Kapitän Flausch ließ zur Attacke blasen, General Zweiundzwanzig-Rennende-Füße schrie:
„Meine Brüder, dies könnte unser letzter Kampf sein! Im Namen der Königin Mirmidone, Attacke!“
Darauf haben die Raupen nur gewartet. Sie führten einen erbitterten Kampf und haben eine Heuschrecke nach der anderen aufgespießt, bis der ganze Garten wie bei einer Insektensammlung aussah.

Eine Sondereinheit konnte den General Blumensprung aus dem Orangenen Turm befreien. Der Oberstleutnant wurde als Geisel genommen und vor Mirmidone gezerrt. Man nahm ihm den Helm und siehe da … es war der General Teer. 
„Ha, ha! Ich mag auch kleine Spielchen, Königin!“
„Feigling!“ hörte man wütende Stimmen aus allen Richtungen, „du hattest keinen Mut gegen eine Frau zu kämpfen!“; Mirmidone blickte ihn an und rieb sich zwei Hände. 
„Gehen wir in den Ratssaal, mal sehen, was wir mit ihm machen!“ 
Die Königin ging in den Saal und sah erstaunt, dass nur die Hälfte der Ratgeber anwesend waren.

„Wo sind die Anderen?“; Zweiundzwanzig-Leichte-Füße, ganz blass im Gesicht, zeigte auf einige grüne Säcke, die am Fenster hingen. 
„Majestät, sie haben sich verpuppt!“; Ihre Kleidung lag auf dem Boden herum. „Ah“ – mehr konnte Mirmidone nicht sagen – „ich habe jetzt keine Zeit, um einen neuen Rat zu wählen, aber wir haben hier ja ein fertig gebautes Schafott.“
Sie haben den General Teer gepackt und führten ihn zum Richtplatz. Das gesamte Raupenvolk versammelte sich, um der Hinrichtung beizuwohnen. Mirmidone saß auf dem Thron und trampelte mit den Füßen. 
„General Teer mag Wortspiele“, sagte sie zum Raupenvolk. Dann drehte sie sich zu Teer:

„Du hast ein Wort zu erraten. Du kannst es mit dem ganzen Wort versuchen, oder mit den einzelnen Buchstaben, wie du willst.“ 
Mirmidone flüsterte das Wort ins Ohr einer Raupe, diese schrieb mit einem Kohlestück den ersten und den letzten Buchstaben auf einem Baumstamm. Anstelle der restlichen Buchstaben zeichnete er je einen kleinen Strich.

S_ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ G

„Falls du einen Buchstaben findest, der mehrmals vorkommt, so wird der auch mehrmals eingetragen.“ 
Teer verbeugte sich.
„Danke für deine Großzügigkeit, Königin.“
„Das ist keine Großzügigkeit, sondern die Spielregel. Du hast so viele Versuche, wie viele Striche du siehst, also elf. Jeder Fehler bringt dich näher ans Schafott.“

Das Gesicht des Generals wurde ernst, wachsam, fast schon sanft:
„Hm, könntet ihr nicht prüfen, ob die Buchstaben S und G sich im Wort nicht wiederholen? Dann müsste man sie auch eintragen …“Mirmidone lächelte sanft: 
„Sie wiederholen sich nicht.“
Teer dachte nach, er musterte den Garten, die Raupen, den Richtplatz.
„Hat das Wort vielleicht ein K?“; Die Raupen antworteten chorweise:
„Neeeein.“
Teer wurde auf dem Schafott gestellt:
„BB?“
Daraufhin wurde ihm auch der Strang umgehängt.
„TT?”
Mirmidone nickte, die Raupe ergänzte das Wort mit zwei T Zeichen.
„E?“
       „Ja. Schreibt auch ein E hin. Versuchl es weiter!“
General Teer zappelte hin und her, er rieb seine Flügel.

Hmm, es muss ein Wort sein, das alle Raupen kennen, das allen vertraut klingt. Aber welches Wort ist es? Was könnte es sein?  
„Schmetterling.“
Das Volk jubelte. Eine Raupe kletterte auf das Schafott und löste seine Fesseln. Teer verbeugte sich noch einmal, dann war er frei und durfte gehen – natürlich musste er vorher einen Vertrag unterzeichnen, dass er nie wieder Schmetterlinge aufspießen wird. Er setzte auch sein Siegel auf das Dokument. 
Mirmidone gab danach bekannt, dass in zwei Stunden ihre Hochzeit mit dem General Blumensprung stattfinden wird. In der Knospenburg begannen die Hochzeitsvorbereitungen. Die Königin machte sich aber Sorgen, denn es waren Veränderungen im Gange.

Denn die Raupen, wie sie älter wurden, wandelten sich in Schmetterlinge um und verließen die Burg. Die Soldaten, die Kapitäne, die Generäle hassten diese Verwandlung. Was soll dieses blöde Schmetterlings-Spiel? Sie verlieren ja ihre Beine (bleiben nur sechs aus den sechzehn!), werden schwach und zerbrechlich, mit verletzlichen Flügeln, sie können keinen Wein mehr trinken, sie können nicht fett werden und vor allem können sie keine Schlachten führen, keine Speere werfen – nie wieder.

Sie werden einfach nur schön sein. Aber wer will denn schön sein? Es war aber nicht ihre Entscheidung. Jammernd wurden aus den gefürchteten Generälen mit unzähligen Beinen Puppen und dann Schmetterlinge. 
Mirmidone und der Rat mussten sie durch neue Raupen ersetzen. 
In der Hochzeitsstunde, als Mirmidone in den Schmetterlingstempel trat, war ihr Bräutigam nicht da. Sie blieb vor dem Altar stehen und drehte sich um.

Ihr langer Schleier reichte bis zu der Tür. Sie stand da, regungslos, geduldig, Minuten lang. Im Tempel rumorte es. Auf einmal erschien im riesigen Tor des Tempels ein Schmetterling, seine Flügel waren schwarz, mit orangefarbenen Kreisen verziert. Es war der General Blumensprung, der sich gerade umwandelt hatte.
Eine riesige Feier begann in Knospenburg. Der Bräutigam nahm seine Braut in den Armen und flog mit ihr auf eine Quittenblüte.