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Der Brunnen am Ende des Regenbogens

 Eine Geschichte von Cami Rotundu, Übersetzt von Nagy Katalin, Zeichnung von Liviu Boar

Interpretiert von Inge Ziegler.

In einem Dorf, in der Nähe einer Stadt lebten zwei Geschwister: ein Mädchen und ein Junge, die vor gar nicht so langer Zeit die Schule besuchten. Sie lebten nur mit ihrer Mutter, die aber eines Tages plötzlich gestorben ist. Weil sie nichts mehr zu essen hatten, mussten die Kinder die Schule verlassen, um sich eine Arbeit zu suchen. Sie packten jeder ein kleines Bündel, mit einigen Büchern und Kleidern, und machten sich auf den Weg in die Stadt. Sie gingen die Straßen mit den schönen, ansehnlichen Häusern auf und ab und versuchten eine Anstellung zu finden, wo sie arbeiten könnten oder vielleicht sogar einen Beruf erlernen, aber niemand wollte sie aufnehmen. Die Leute meinten, dass ihre ängstlichen und schüchternen Gesichter kein Vertrauen erwecken.
Doch eines Tages betraten sie zufällig das Atelier eines Malers. Im Zimmer war eine große Staffelei aufgebaut und hinter der Staffelei arbeitete jemand. Die Kinder gingen langsam auf die Staffelei zu, als der Maler plötzlich aufstand und rief:
„Halt! Keine Bewegung“
Die Kinder erstarrten und blieben so stundenlang stehen, bis hinter der Staffelei eine Hand mit einem Pinsel erschien und ihnen zuwinkte. 
Sie näherten sich mit leisen Schritten dem Maler und betrachteten erstaunt das gemalte Bild, auf dem ein Storch, einige Schlösser, Brücken und mehrere Sonnen zu sehen waren.

Der Maler nahm ein wenig Geld aus seiner Tasche:
„Soviel Geld ist genug für euch“ sagte er. Dann tauchte er erneut den Pinsel in die Farbe und begann wieder zu malen. 
Die Kinder erzählten ihm, wie ihre Mutter gestorben war, wieso sie unterwegs und das sie auf der Suche nach Arbeit sind. Der Meister dachte ein wenig nach und dann sagte er:
„Ihr könnt ja bei mir bleiben, morgens geht ihr in die Schule und nachmittags helft ihr mir hier im Atelier.“
Die Kinder waren einverstanden und schon am nächsten Tag begannen sie mit der Arbeit im Atelier des Malers. Obwohl ihnen die Arbeit gefiel und sie sich sehr bemühten alles ordentlich zu erledigen, konnten sie jedoch die blauen und ockergelben Farben, nicht so hinkriegen, wie sich der Maler das gewünscht hatte und daher bekamen sie große Schwierigkeiten.  Der Meister bekleckerte in seinem Zorn die Kleidung der Kinder mit Farbe, und daher hatten die Kinder nun immer schmutzige Kleider.

Ja, wenn der Maler sehr zornig war, bekleckerte er sogar die Gesichter der beiden Kinder. So mussten sie dann auch auf die Straße gehen, wo die Menschen sich über sie lustig machten.
Der Maler hatte aber keine Käufer für seine Bilder, so verarmte er langsam und wurde krank. In der Zwischenzeit reiste das Mädchen in verschiedene Länder, wo es die Bilder des Malers für sehr viel Geld verkaufte. Der Junge jedoch blieb bei ihm und pflegte ihn.
Das Mädchen kam mit einer großen Kiste voll mit Goldmünzen wieder nach Hause zurück. Der Meister wurde gesund und er bat um Entschuldigung, weil er so böse mit den Kindern umgegangen war. Dann öffnete er die Kiste und fragte:
„Sagt mir ihr Lieben, was ist eurer Wunsch?“
Der Junge antwortete, ohne darüber nachzudenken.
„Ich würde gerne meine Mutter wiedersehen!“

Das Mädchen nickte, denn sie hatten den gleichen Wunsch. Der Maler dachte nach und sagte:
„Diesen Wunsch zu erfüllen ist sehr schwierig, aber nicht unmöglich.“
Da ergriff der Junge krampfhaft das Jackett des Malers:
„Wenn du das für mich tust, werde ich mein Leben lang dir dafür dankbar sein!“
„Mein Kind, eure Art zu denken, wird euch bestimmt nicht glücklich machen!“                                      Das Gesicht des Jungen verfinsterte sich, aber dann sagte er:
„Das ist mir egal, ich bitte dich trotzdem, es möglich zu machen!“
Der Meister beobachtete lange die erwartungsvollen Gesichter der beiden Kinder.
„Euer Wunsch soll in Erfüllung gehen!“ sagte er dann.

Er tauchte seinen Pinsel in die Farben, nahm das Kinn des Mädchens in seine Hand, das glaubte, dass der Meister es wieder bemalen wird, wie er das früher auch gemacht hat. Aber der Maler lachte jetzt und machte das Kopftuch des Mädchens auf. Er malte einen Stern auf ihre Stirn und dann setzte er das Kopftuch zurück.
„Ihr sollt zu dem Brunnen am Rande des Regenbogens gehen. Ihr sollt euch gegen Osten auf den Weg machen; wenn ihr die Stadt verlasst, sollt ihr durch eine Wiese, in die Richtung, wo die Hyazinthen blühen, gehen. Ihr werdet zu einer Grenze kommen, wo ihr feindliche Grenzwächter begegnet, die bis an das Kinn bewaffnet sind, aber sie sind nur dort, um zu verhindern, dass jedermann die Grenze überschreitet. Aber du, sagte er zum Mädchen, du sollst nur dein Kopftuch abnehmen und den Stern auf deiner Stirn zeigen und sie lassen euch sofort durch. In der Stadt der Wolken kann euch niemand helfen, also hängt alles von euch ab.“ sagte der Meister. Er hob seinen Zeigefinger und setzte fort:

„Ihr sollt euch sehr beeilen, wenn ihr die Regenbogenbrücke überquert, weil sie in jedem Augenblick unter euren Füßen zergehen kann.“
Am nächsten Tag standen die beiden Geschwister schon sehr früh auf.  Maria, so hieß das Mädchen, zog ihr einfaches Bauernkleid an, in dem sie sich immer sehr wohl fühlte, sie band das Kopftuch um, nahm ihren Bruder, der ein weißes Hemd angezogen hatte, bei der Hand und so machten sie sich auf den Weg. Draußen war der Himmel mit dunklen Wolken bedeckt.
Sie verließen die Stadt und gegen Osten überquerten sie die Wiese da, wo die Hyazinthen ihnen den Weg zeigten. So wanderten sie zwei Tage und zwei Nächte ohne Rast und Ruh. Aber nach einiger Zeit, ohne dass sie es bemerkten, bewegten sie sich nicht mehr auf festem Boden, sondern auf dicken Wolkenschichten. Ihnen fiel nur auf, dass sich die Landschaft sehr verändert hatte: die Wiese war feucht und weich und die Pflanzen wurden immer merkwürdiger, aber sie achteten nur auf die blauen Hyazinthen, die wie kleine blaue Flecken auf den weißgrauen Wolkenschichten sich zeigten.

Durch die kleinen Spalten, die zwischen den dünneren Wolkenschichten entstanden sind, konnte man auf die Erde hinunterblicken: es war als ob man auf eine andere und besondere, wie aus einer nur mit Linien und Zeichen bestehenden Welt hinunterschauen würde. Sie waren schon ziemlich lange unterwegs, als sie am Horizont die Umrisse von Türmen und Gebäuden erblickten. 
Das war das Reich der Wolken, das Schritt für Schritt immer mächtiger erschien und als die Kinder an das riesige Tor des Reiches traten, wurden sie von vier, mit Bajonetten bewaffneten und gepanzerten Soldaten aufgehalten, die formlose und Schrecken erregende Gesichter hatten. Die beiden Geschwister erschraken sehr, als die Soldaten ihnen den Weg mit den Bajonetten versperrten, so sehr, dass sie es ganz vergaßen, was sie tun sollten. Der Junge drückte sein Gesicht an die Brust seiner Schwester und vor Angst klammerte er sich an ihr Kopftuch. Das Kopftuch rutschte zur Seite und die Soldaten erblickten den Stern auf ihrer Stirn. Sie nahmen ihre Bajonetten beiseite und machten ihnen den Weg frei. 
Die Kinder gingen in die Stadt hinein und mischten sich unter die Menschen. Die Bewohner der Stadt unterschieden sich kaum von den Menschen auf der Erde. Ihre Gesichter waren freundlich und ihre Kleider erinnerten an die Kleidung der Menschen auf der Erde vor etwa hundert Jahren. Die müden und sorgenvollen Gesichter der Kinder erregten die Aufmerksamkeit der Passanten. Sie drangen mit immer schneller werdenden Schritten in die Menge und wenn sie die Richtung verloren, dann standen sie ganz still da und sahen sich schweigend um.

Die Stadt ist sehr alt gewesen und das einmal so glänzende gelbe Pflaster war jetzt abgenutzt. Schritt für Schritt waren Schlösser und Paläste zu bestaunen, deren Mauer besonders dick und die Eingänge bogenförmig waren. Die Straßen schlängelten sich durch die Stadt, einige waren sehr breit, auf denen auch Kutschen fahren konnten, andere aber waren sehr schmal, sodass die Menschen, die in den gegenüberliegenden Häusern wohnten sich leicht die Hände reichen konnten. Die Straßen liefen in kleine kreisförmige Plätze zusammen, in deren Mitte Brunnen standen; die Bewohner holten sich aus diesen Brunnen das Wasser. In den Dächern waren augenförmige Fensterchen geschnitten und den Kindern kam es vor, als ob diese „Augen“ ihnen zuzwinkern würden.
Auf den Schornsteinen der Häuser waren Storchennester zu sehen und in jedem Nest eine Storchfamilie. In den Storchennestern standen fünf bis sechs Störche auf einem Bein und klapperten, während sie auf die Fußgänger hinunterschauten.
Die Kinder konnten sich nicht entscheiden, ob es sich gehört, nach dem Brunnen am Ende des Regenbogens zu fragen. Das Mädchen hielt eine Frau an, die ein Kind an der Hand führte, aber die antwortete in einer Sprache, die sie nicht verstanden. Dann schaute der Junge zu einem Storch, der vor einem Gasthof stand. Zuerst dachte der Junge, dass der Storch aus Lehm war, ebenso wie die Blumentöpfe neben ihm, aber als er sich bewegte, ging der Junge auf ihn zu und fragte:

„Weiß die gnädige Storchenfrau vielleicht, wo der Brunnen am Ende des Regenbogens ist?“
Der Storch sah den Jungen wohlwollend an und klapperte:
„Es ist in dem Schloss, an dessen Tor ein Brunnen gemalt ist. Das Schloss könnt ihr finden, wenn ihr den zwinkernden Augen auf den Dächern folgt.“
Darauf flog der Storch weg und stellte sich auf einen hohen Schornstein auf ein Bein. Die Kinder verstanden, wenn die Dachfenster ihnen zuzwinkern, dann stimmt die Richtung, die sie eingeschlagen haben.
So irrten sie mehrere Tage durch in der Stadt, ohne dass jemand ihnen den Weg zeigte. Sie konnten weder ans Essen und Trinken denken, sie dachten nur an ihre Mutter. Der Storch, den sie angesprochen hatten, beobachtete sie von Weitem, manchmal erschien er auf einem Dach und auf einem Bein stehend, da rief er: „Bleibt nicht stehen! Bleibt nicht stehen!“

Die Namensschilder der Straßen waren unlesbar und so verwirrend, dass sie das Gefühl hatten, sie wären immer im Kreis gelaufen. Die Müdigkeit, der Hunger und die eisige Luft der kalten Nächte erschöpfte die beiden Kinder. Die Passanten sahen sie mitleidsvoll an. Manchmal öffnete sich ein Fenster, in dem eine Frau oder ein Mann erschien, sie ließen ein Eimer mit Wasser nach unten und sagten:
„Kommt nur herein, esst was und ruht euch aus!“ Aber der Storch sah die Kinder immer besorgt von einem der nahen Dächer an und eine gewisse sonderbare Vorahnung sagte ihnen, dass sie die Einladungen ablehnen sollten. 
„Weißt du was?“ sagte der Junge zu dem Mädchen, „ich glaube auch die Bewohner dieser Stadt suchen ebenso wie wir den Brunnen. Aber sie haben ihn nicht gefunden, weil sie den freundlichen Einladungen nicht widerstehen konnten und so sind sie für immer hier geblieben.“

„Ich denke auch“ sagte das Mädchen vor Kälte zitternd“, dass wir die Einladungen nicht annehmen sollten, auch wenn wir deswegen sterben werden.“
So schweiften sie noch eine Zeitlang herum und man konnte nicht wissen ob Tage, Wochen oder vielleicht auch Monate vergangen waren. Eines Tages lehnte sich der Junge erschöpft an eine Mauer. Als er sich von der Mauer entfernte, sah seine Schwester, dass sein Rücken mit roten und blauen Kreideflecken verschmutzt war. Als sie es aber genauer betrachtete, sah sie die Umrisse eines Brunnens auf dem Rücken ihres Brüderchens. Mit ihren letzten Kräften klopften sie an das Tor des Schlosses. 
Aus dem hinteren Teil des Hofes machte sich ein altes, gekrümmtes Mütterchen auf den Weg um sie hereinzulassen. Sie näherte sich sehr langsam, es schien sogar, als ob sie niemals ankommen würde. Endlich kam sie ans Tor, wo sie lange nach dem großen Torschlüssel suchte, der in einer Tasche ihres Rockes versteckt war. Sie öffnete das Tor und die Kinder gingen in den Hof hinein, der mit gelben Steinen gepflastert war und dann führte sie die Kinder in einen Saal des Schlosses, wo ein großer, runder Tisch stand, er war so groß, dass er fast den ganzen Saal einnahm und um ihn herum Armsessel.

Die Kinder sollten Platz nehmen. Der Storch, der ihnen gefolgt war, setzte sich glücklich neben ihnen in einen Armsessel. Sie betrachteten sich in der spiegelglatten Platte des Tisches und inzwischen erzählte ihnen das Mütterchen, das ihnen gegenüber  saß, über die Stadt der Wolken und fragte sie woher sie kommen und was sie hier suchen. Sie erzählten alles. Dann gab ihnen das Mütterchen feinstes Essen, Getränke und Obst und dem Storch holte sie ein langhalsiges Gefäß voll mit Granatäpfeln. Die Kinder und auch der Storch aßen mit gutem Appetit und dankten für das Essen.  Nachdem sie alles gegessen und ausgetrunken hatten, bemerkten sie verwundert, dass die Tischplatte sich in Wasser verwandelt hatte und die Teller und Gläser auf der Oberfläche schwammen. Die glänzende Tischplatte war nichts anderes als der Brunnen am Ende des Regenbogens!
Als das Mütterchen die Gefäße einsammelte, tauchte auf einmal ein Fisch auf, der sich schnell umdrehte, mit dem Schwanz schlug und gleich darauf wieder in der Tiefe des Brunnens verschwand.

Die Kinder tauchten einen Krug aus Lehm ins Wasser, tranken daraus und ihre Müdigkeit verschwand, sie wurden schöner und stärker als sie vorher waren. Sie wuschen sich ihre Augen und trockneten sich mit dem Handtuch ab, das ihnen das Mütterchen reichte. Auf einmal glänzte alles in ihrer Umgebung so farbenfroh, als wenn die Farben der Gegenstände sich mittlerweile verändert hätten. Das alte Mütterchen, dass jetzt ein mit Maria gleichaltriges Mädchen geworden war, hatte ein türkisfarbenes Kleid an und ihre Haare waren so rot wie die Flamme des Feuers. Es holte saubere Kleider für die zwei Geschwister und half ihnen sich umzuziehen: Maria zog goldene und ihr Brüderchen blaue Kleider an. 
Dann führte sie die Kinder in einen hohen Turm des Schlosses und von dort oben konnte man die ganze Stadt sehen.

Jetzt sahen sie wie diese Stadt, in der sie so viel herumgeirrt waren, eigentlich aussah; die Mauern waren türkis und granitgrün und die Dachziegel kunterbunt. Die hohen Türme waren mit Regenbogenbrücken verbunden, die sich über der Stadt aneinander reihten.
Auch aus diesem Turm führte eine Regenbogenbrücke hoch bis an den Himmel, sie sah blau aus und war fest und kräftig. Die Kinder verabschiedeten sich von dem türkis gekleideten Mädchen und machten sich auf den Weg entlang der Brücke. Sie erinnerten sich an die Worte des Meisters, und so begannen sie zu laufen. Der Regenbogen hob sich höher und höher und sie liefen auf den Regenbogenstreifen; ihre Herzchen schlugen rasch und wären fast aus ihrer Brust gesprungen, als sie am Ende der Brücke eine Frau erblickten, die mit offenen Armen auf sie wartete und niemand anderes, als ihre Mutter war.

Sie drückte die Kinder an ihre Brust und ließ sie dann los. Jetzt sahen sie, dass ihre Mutter eine große, schlanke und zarte Frau war, die lange goldbraune Haare hatte. Sie nahm ihre Kinder bei der Hand und führte sie in eine noch schönere Stadt wie die Stadt der Wolken. Ihre Wände, ihre Türme und ihre Schlösser waren noch höher und noch prachtvoller. Sie waren aus Kristallen und Edelsteinen gebaut, die zugleich die Sonnenstrahlen durchließen, aber sie auch widerspiegelten. Nachdem sie die Stadt durchschritten hatten und auf viele Türme hochstiegen waren, gingen sie auf einen Sportplatz, der mit roten und blauen Steinen gepflastert war. Nacheinander gingen vier Sonnen auf und unter und dort wo der Himmel am dunkelsten war, leuchteten riesige Sterne, die viel größer waren, als die man von der Erde aus sieht. Sie begannen mit einem blauen Ball Korbball zu spielen. 
Die Körbe waren sehr hoch und der Ball flog einen langen Bogen in der Luft. Die gläsernen Oberflächen rund um sie hallten melodisch bei dem Aufspringen des Balles und die heiteren Laute erzeugten Silhouetten, sodass mehrere Gesichter zu sehen waren, gleiche oder verschiedene. Schon diese Erscheinung war ein wunderbares Spiel.

Nach einiger Zeit warf ihre Mutter den Ball so hoch, dass er oben am Himmel blieb und nicht mehr herunterfiel. Jetzt bemerkten sie, dass der Ball eigentlich eine Sonne war.
Dann kamen sie auf einen frisch gepflügten Acker, der lehmig und ölig war; es waren noch dicke Striche zu sehen, die in verschiedenen violetten, gelben, ockergelben, dunkelgrünen, blutroten und blauen Farben von einem Pinsel hinterlassen wurden. Der Boden war voll mit Hufspuren, die aussahen wie ein Mund mit dicken Lippen und als sie in solch eine Spur traten, versuchten diese Münder ihre Beine zuverschlingen. Man musste schon kräftig ziehen, um seine Beine wieder herauszubekommen. Auf einer Wiese grasten schwarz-, weiß- und lila gefleckte Kühe.

Das Öl, das den Boden durchnässte, machten die Farben glänzend und die Farben veränderten sich ständig, wenn man sie aus den verschiedensten Richtungen betrachtete. Man konnte sich mit diesem eigenartigen Lehm seine Kleider nicht beschmutzen, denn wenn der Lehm einen Fleck auf der Kleidung hinterließ, verblasste er langsam und verschwand dann ganz. Das Gras der Wiese hatte eine dunkle und kräftige Farbe, es war voll mit lila und roten Blumen, aus denen dicker, gelber Blütenstaub fiel. Die Mutter und die Kinder setzten sich in das Gras, neben den schönen Lilien. Aus den großen Blütentrichtern schauten lange Staubgefäße heraus, die mit dunkelgelben Blütenstaub beladen waren und als die Kinder an den Blumen gerochen hatten, da waren ihre Gesichter mit gelben Strichen bemalt.

In jeder Straße der Regenbogenstadt arbeitete mindestens ein Maler. Die Kinder und die Mutter begannen die weißen Wände eines alten Schlosses zu bemalen. Diese Arbeit forderte von ihnen große Aufmerksamkeit und dauerte sehr lange. 
Der Storch stand natürlich auf einer Mauer und begutachtete ihre Arbeit. In der Nacht schliefen sie in einem Spielzimmer, das mit einem Wolkenfederbett ausgestattet und voll mit Spielsachen war.
An einem Tag setzten sich alle drei hin, um mit Bauklötzer zu spielen; sie bauten verschiedene Häuser, Säulen und Säle und sie benutzten immer mehr Bauklötzer. Die Wände wurden immer höher; sie bauten Schlösser mit Terrassen, in denen sie auch hineingingen; sie liefen die Treppen hinauf und hinunter, durch die offenen miteinander verbundenen Säle und betrachteten sich in den Glaswänden.

Aber auf einmal bemerkten sie, dass ihre Mutter nicht mehr da ist. Sie riefen und suchten sie, aber sie war nicht mehr zu finden. Ihre Begegnung mit ihr war zu Ende. Das aufgebaute Schloss begann zu schwanken und  einzustürzen. Die beiden Kinder nahmen sich bei der Hand und liefen aus dem Schloss. Nach ihnen fielen riesige Kristallblöcke herunter und brachen mit schauderhaftem Krach in Stücke.
Sie liefen entlang auf dem Regenbogen, der jetzt bis auf die Erde führte und der Storch folgte ihnen überall hin. Sie verließen schon die Wolken, als die Regenbogenbrücke zu schwanken begann und dann in ihre Bestandteile zerfiel. Die Kinder rannten mit ihren glühenden Gesichtern weiter, bis sie zusammen mit den Eisen- und Glasstücken hinab zur Erde fielen.

Sie hatten die Erde noch nicht erreicht, da fingen die aus einem Flugzeug springenden blauen Fallschirmspringer die beiden Kinder in ihrem Schoß auf und landeten zusammen mit ihnen am Rande der Stadt. Der Storch landete auch bei ihnen. So kamen Sie in die Stadt zurück, wo ihre Reise begann. 
Alle drei kehrten ins Atelier des Malers zurück. Der Meister malte wie immer, die ihn umgebende Welt vergessend, hinter der Leinwand. Der Storch flog zu ihm und setzte sich auf die Staffelei.